Die Goldene Tafel: sie prägte mehr als 450 Jahre das Innenbild des Mindener Domes. Prachtvoll muss er ausgesehen haben, der kunstvolle Altaraufsatz, ganz in Gold und Blau gefasst. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts wurde er dann aber aus dem Dom entfernt und zerfiel über die Jahrhunderte. Doch 2002 kehrte die Tafel ins Gotteshaus zurück.
„Die goldene Tafel war eine Perle romanisch-gotischer Kunst und ein Hauptwerk deutscher Gotik“, schwärmte Werner Rösner*, Architekt und Geschäftsführer des Dombauvereins Minden vom einstmaligen Vorzeigestück des Mindener Doms. Um dem Gotteshaus den einstigen Glanz wiederzugeben, malten jahrelang die Mühlen. Eine Nachbildung des wertvollen Kunstobjektes hat seit Pfingsten 2002 den Wiederaufbau des Ende des Zweiten Weltkrieges zerstörten Domes, der 1956 erfolgte, vollendet.
Die Geschichte des kostbaren Hochaltars beginnt um 1220. Zu dieser Zeit wurde die romanische Predella fertiggestellt. Der Sockel des späteren Altaraufsatzes wurde aus Eichen und Linden des Weserberglandes angefertigt und ähnelt einem Schrein. 40 schmückende Statuetten stellen die Marienkrönung dar. „Die Ernennung Marias als Himmelskönigin muss als Triumphmotiv der Institution Kirche gesehen werden“, beschrieb Rösner die Bedeutung des Reliquienschreins. Es dürfe angenommen werden, dass in der Predella über Jahrhunderte die Hauptreliquien des Domes aufbewahrt wurden. „Kunsthistorisch steht das Werk für einen Wendepunkt der Altargestaltung“, sagte der Architekt in Bezug auf die Form der Predella.
Flügelretabel aus dem frühen 15. Jahrhundert
Das große Flügelretabel, also der Altaraufsatz, wurde 1420 geschaffen und ist somit ein Werk der Hochgotik. Farbig ist das Kunstwerk kräftig gefasst, wobei Gold vorherrscht. Auch bei dem Retabel bildet die Marienkrönung den Mittelpunkt. Sie wird von den zwölf Aposteln flankiert. Umrahmt wird die Darstellung von einer Schar musizierender Engel.
„Das Retabel stellt grandios das Thema des irdischen und himmlischen Jerusalems dar“, erklärte Rösner. Die untere Altarleiste nimmt die Hoffnung der Israeliten auf. Aus dem Jerusalem Israels entsteht, aufgebaut auf die zwölf Apostel, die Kirche. Jeder Apostel steht dabei für einen Glaubensartikel.
Rahmen und Außenflügel des Altaraufbaues sind aufwendig bemalt und tragen Inschriften in lateinischer Sprache. Die Kombination der romanischen Predella mit dem gotischen Retabel steht für das Gesamtbild des Mindener Domes. „Die Architektur des Doms ist vom Nebeneinander zweier Stile geprägt. Die goldene Tafel spiegelt dieses wider.“
Neun Mindener Bischöfe fanden vor der Goldenen Tafel ihre letzte Ruhestätte. Dann, im Jahr 1656, wurde sie aus dem Hochchor des Domes entfernt. „Der 30-jährige Krieg kostete Minden mit dem Abschluss des Westfälischen Friedens seinen Bischofssitz“, betonte Rösner den geschichtlichen Hintergrund. Damit hatte auch die Dominanz der katholischen Kirche in der Weserstadt ein Ende.
Laut Rösner sei die unmittelbare Folge dieser Ereignisse die Entfernung des Altaraufsatzes aus dem katholischen Dom gewesen. „Dem Dom wurde das Herz herausgerissen. Nichts markiert die geistige Verwirrung und den kulturellen Tiefstand Mitte des 17. Jahrhunderts deutlicher, als dieser ungeheure Frevel“, sagte Rösner in Bezug auf die damaligen Ereignisse.
Bode-Museum erwirbt 1909 die Goldene Tafel
Über die Jahrhunderte wurde die Goldene Tafel im Langhaus des Domes abgestellt, bis das Bode-Museum in Berlin 1909 das Kunstwerk für 45.000 Reichsmark kaufte. Obwohl die Bürger gegen den Verkauf waren, nahm der damalige Kirchenvorstand das Angebot an. „Der heutige Zustand der Goldenen Tafel ist Besorgnis erregend“, so Rösner. “In absehbarer Zeit muss sogar mit dem vollständigen Zerfall des historischen Werks gerechnet werden.” Das hat sich in der Zwischenzeit jedoch geändert. Doch dazu später. So blieb damals als einzige Möglichkeit eine zweite Goldene Tafel anzufertigen – eine Replik des Originales. Mit deren Anfertigung wurde die Firma Ochsenfarth in Paderborn beauftragt. „Seit Juli 2000 arbeiten wir an der Goldenen Tafel“, erklärte Andreas Ahlers, Leiter der Restaurierung in Paderborn, damals.
„Dabei wurden besondere Anforderungen an uns gestellt, da wir das Original nicht aus dem Bodemuseum bekamen. Wir konnten nur anhand von Fotos arbeiten“, sagte Ahlers über die Schwierigkeit des Vorhabens. Bei den letzten Arbeiten an der Replik stand die Vergoldung der Figuren im Mittelpunkt.
Mit der Wiederaufstellung der Goldenen Tafel zu Pfingsten 2002 im Mindener Dom, wurde das Konzept des Gotteshauses komplettiert. Nachdem 1974 der neue Vierungsaltar als Hauptaltar des Domes errichtet wurde, wurde er 1992 durch die Aufhängung einer Replik des Mindener Kreuzes fixiert. 1993 wurde der Taufstein in die Eingangszone umgesetzt. „Die Mittel- und Hauptachse des Domes weist nun die dominante Objektfolge von Taufstein, Vierungsaltar mit Kreuz und Goldener Tafel auf“, so Rösner über die neue Ordnung des Mindener Domes. So könne jedem Besucher der Heilsweg nahe gebracht werden. Die Taufe als Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen, die Begegnung mit Christus am Altar und schließlich die Vollendung christlicher Existenz im ewigen Leben – symbolisiert durch die Mindener Goldene Tafel.
Mit der Sanierung und Restaurierung des Berliner Bode-Museums, das im Oktober 2006 wiedereröffnet wurde, erhielt auch das Original der Goldenen Tafel einen Ehrenplatz – und wurde teilweise restauriert. Zu sehen ist die Tafel im Bode-Museum in einem Raum, der den Namen “Minden-Zimmer” trug.
Im Sommer 2013 dann eine kleine Sensation: eine der verschollenen Figuren aus dem 13. Jahrhundert, die vermutlich in der romanischen Pedrella der Goldenen Tafel stand und als verschollen galt, tauchte in Hildesheim wieder auf. Ein privater Besitzer übergab die hölzerne Skulptur, bei der nicht bekannt ist, wen sie darstellt, dem Bode-Museum, wo sie nun ausgestellt wird.
* Werner Rösner verstarb im Juni 2002
* Dieser Text ist an eine Ausarbeitung von Propst am Dom i. R. Paul Jakobi († 2023) angelehnt und von Hans-Jürgen Amtage bearbeitet.